Eine Einnistungsgeschichte
Ein Brutschrank öffnet sich. Klettermax, der selig in seinem
Embryonenschälchen geruht hatte, stupst Klettermaxi an, die gerade ein
Nickerchen machte: „Du, ich glaube, jetzt geht’s los!“
Und da sehen die beiden auch prompt das bunte Röhrchen auf sie
zuschweben. Nun ist’s mit dem besinnlichen Dasein im Petrischälchen
vorbei. Schwupp, und schon gleiten sie in den durchsichtigen Tunnel des
Röhrchens.
„Wo wollen die bloß mit uns hin?“ fragt Klettermaxi ängstlich. Und Klettermax antwortet: „Ich habe etwas von
Einpflanzen
gehört…“ „Ach ja“, unterbricht ihn Klettermaxi, „jetzt kommt’s
mir in den Sinn. Es hieß doch, wir sollten dahin zurückgebracht werden,
wo wir wohnten, als wir noch kleine Eizellen waren.“ „Und wo wir immer ‚
Wer ist das größte in dieser Burg?
’ spielten und ich jeweils knapp hinter dir war“, erinnert sich Klettermax.
„Aber wo ist denn unsere Spielgefährtin geblieben, die uns mit dem Spottlied neckte: ‚
Ätsch, ich bin die größte
’ , die habe ich schon länger nicht mehr gesehen?“
„Tja, Klettermaxi, der ist es so ergangen wie vielen anderen Angebern: der ist die Luft ausgegangen …“
„Ach, und deshalb sind wir zwei heute dran!“ schloß Klettermaxi messerscharf.
In diesem Augenblick machen die beiden eine Erfahrung, die sie
mit vielen anderen Lebewesen verbindet, nämlich daß die gemütlichste
Unterhaltung ein jähes Ende nehmen kann, wenn sich äußere Ereignisse in
den Vordergrund drängen. Eine ihnen fremde Stimme ruft kompromißlos:
„Transfer!“ und plötzlich wird es dunkel um die beiden. Von unsichtbaren
Kräften angetrieben gleiten sie durch das bunte Röhrchen in eine ihnen
unbekannte Welt. Nur ihr Geruch scheint merkwürdig vertraut und ihre
Wärme wirkt seltsam heimelig.
„Wo sind wir?“ flüstert Klettermaxi ratlos. „Keine Ahnung“,
antwortet Klettermax, „ich weiß nur, dass das Schälchen und das Röhrchen
weg sind und es sich hier auf einmal so feucht und wattig anfühlt.“
„Weißt du, was ich glaube?“ sagt Klettermaxi nun ganz ernst und
feierlich. „Bisher haben die Erwachsenen unser Bettchen gemacht, uns
herumgeführt und verpäppelt, und nun ist unsere Aufgabe, in diesem
feuchten, wattigen Raum für uns selbst zu sorgen. Wir sollen wohl dem
Ruf unserer Vorfahren folgen und uns ein Plätzchen in dieser neuen Welt
erobern, wo wir uns sicher fühlen und gedeihen können, groß und stark
werden.“ „Und dabei sollen uns wohl die Greiferchen helfen, über deren
Bewandtnis ich mich schon seit gestern wundere“, sinniert Klettermax.
Und schon probiert er aus, wie sich das anfühlt, nach dem
Feuchten, Wattigen dieser Gebärmutterschleimhaut zu greifen, macht erst
Erfahrungen wie abrutschen, sich einhaken, sich mit einem Greiferchen
abstützen, um mit einem anderen nach sicher scheinendem Halt zu suchen.
Klettermaxi hat seine Anregung aufgenommen und erprobt sich ihrerseits
in der Kunst, sich in dieser Gebärhöhle ihr Plätzchen zu schaffen.
Was die beiden in ihrem Eifer nicht bemerken: auch das
Feuchte, Wattige, das in der Stärke eines bauschigen Daunenbetts
aufgebaut ist, wird aktiv. Es beginnt, Fangschleier und Netze zu weben,
um den beiden Halt bei ihren Kletterübungen geben zu können…
Und das „Publikum“ draußen in der Außenwelt, das leider
(oder zum Glück?) nicht zusehen darf, wird erst zu gegebener Zeit
erfahren, inwieweit Klettermaxi und Klettermax es geschafft haben, ihr
Plätzchen zu erobern und inwieweit das Feuchte, Wattige seine Schleier
und Netze so geschickt gesponnen hat, dass sie an der richtigen Stelle
saßen, um unsere kletterlustigen Gesellen haltgebend einzuhüllen. Dieses
„Publikum“ bekommt nicht mit, inwieweit Mutter Natur die
Klettergesellen mit stärkeren oder schwächeren Greiferchen ausgestattet
hat oder welche natürliche Begabung sie ihnen mitgab, diese Greiferchen
geschickt zu gebrauchen.
Auch ist nur bei genauerer Betrachtung zu erkennen, inwieweit
Klettermaxi oder Klettermax ein Rucksäckchen bei sich tragen, das sie
bei ihrer Suche nach Halt schwächt. Ein Rucksäckchen, in dem
„gewichtige“ Sätze stecken, etwa: „Diesmal
MUSS
es klappen.“ Oder geheime Aufträge der Erwachsenen, die ihnen
schlichtweg zu schwer sind, wie einen bestimmten Platz einnehmen oder
Aufgaben im Leben der Erwachsenen erfüllen zu müssen.
Solche Rucksäckchen also, die das Freiheitsbedürfnis unserer
Klettergesellen empfindlich einschränken und häufig bewirken, dass sich
die Greiferchen nicht wirksam festkrallen können. Schon gar nicht, wenn
Mutter Natur sie nicht zu Greifern wie bei Freikletterern ausgestattet
hat.
Und so müssen wir alle, als „Publikum“ uns immer aufs neu
überraschen lassen, was in Klettermax und –maxi alles drinsteckt, was
sie „drauf haben“, in umgangssprachlicher Rede. Wie die Erfahrung zeigt,
sind nicht die im Heranwachsen schönsten unbedingt die stärksten und
geschicktesten. Ganz wie im wirklichen Leben übrigens, wo äußerlich eher
unscheinbar wirkende Menschen, mit Hilfe ihrer inneren Stärken
Großartiges erreichen können, denn „Stille Wasser gründen tief“, erzählt
uns der Volksmund.
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